Vielfalt und Defizite der Konzepte und Modelle

Der Begriff Blended Learning bezeichnet hybride Lehr-Lern-Szenarien, bei denen die Vorteile von Präsenz- und Online-Veranstaltungen didaktisch sinnvoll kombiniert werden. Bei den hybriden Lehr-Lern-Szenarien geht es darum, dass

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die Bestandteile eines Lernangebotes immer von Rahmenbedingungen des didaktischen Feldes abhängen und dass sich ein Lernangebot vor allem durch eine kluge Kombination unterschiedlicher medialer und methodischer Elemente auszeichnet (Kerres 2012, S. 106).

Manche Autoren integrieren andere Eigenschaften der hybriden Lehr-Lern-Szenarien wie bspw. Einzel- vs. Gruppenlernen, problemorientiertes vs. erklärendes Lehren oder Art der medialen Unterstützung (vgl. ). Beurteilt man unterschiedliche Lehr-Lern-Szenarien nach dem Grad ihrer Virtualisierung, kann BL zwischen medial aufbereitetem Präsenzunterricht und rein digitalen (Online-) Lehrveranstaltungen verortet werden. (vgl. ).

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In diesem Kontinuum von Präsenz- und Online-Lehrveranstaltungen werden verschiedene Methoden, Medien und (Lern)-Theorien miteinander verknüpft. Wie hoch der Anteil der Online-Phase sein soll, wurde und wird kontrovers diskutiert (vgl. Mandl et al. 2004, S. ). Entscheidend ist jedoch, dass mit BL ein an den aktuellen Bedingungen der Lernbedarfe und der Lernumgebung orientiertes, kontinuierliches Lehr-Lern-Szenarium entsteht. In ihm ist die Taktung und Sequenzierung der einzelnen Aktivitäten an einem pädagogischen Gesamtkonzept ausgerichtet, das die

  • organisatorischen,
  • curricularen,
  • didaktischen und
  • technischen Rahmenbedingungen

entsprechend berücksichtigt (vgl. Dziuban et al. 2005, S. ; Petko 2014, S. ; Petko et al. 2009, S. ; ; Kerres 2012, S. .

Durch die Kombination und Integration in ein hybrides Lernarrangement sollen die jeweiligen Vorteile verstärkt bzw. Nachteile gemindert werden, oder wie Christensen et al. formulieren: „hybrid form is an attempt to deliver ‘the best of both worlds’ - that is, the advantages of online learning combined with all the benefits of the traditional classroom” (Christensen et al. 2013, S. 5). Damit wendet sich BL gegen die Monokultur digitaler Lehr-Lern-Szenarien, die nicht für jede Lernaktivität und jedes Lernziel geeignet sind. Es gilt zu berücksichtigen, dass

  • ein „großes Maß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität (...) den vielfältigen Bedingungen und Voraussetzungen von Menschen mehr entgegenkommen“ (Kerres 2012, S. 106) als reine Präsenzveranstaltungen,
  • die Parameter der didaktischen Gestaltung und Phasenbildung von Lehr-Lern-Prozessen in die On- / Offline-Struktur der Lernumgebungen eingebunden werden (vgl. Arnold et al. 2011, S. 117 ff.),
  • Lernziele und zu erwerbende Kompetenzen auf die Methoden abgestimmt werden (vgl. Reinmann-Rothmeier 2003),
  • der Einsatz von Medien in angemessener Weise (selbstgesteuert und kooperativ) berücksichtigt wird (vgl. Kerres 2012, S. ; Arnold et al. 2011, S. ),
  • problemorientierte Methoden (projekt- bzw. fallorientiertes Lernen) durch den Medieneinsatz unterstützt werden (vgl. Kerres 2012, S. ),
  • durch die Integration von Sozialen Medien (Twitter, Facebook, Google etc.) das Lernklima und der Lernerfolg positiv beeinflusst werden können (vgl. ; Nückles et al. 2004, S. ).

Sind die Lehrinhalte digital vermittelt (Text, Videos, Audios, Folien, Podcasts, Animationen u.a.m.) und online über Intra- und Internet zugänglich, können z.B. die Lernenden diese flexibel und den eigenen Lernbedürfnissen entsprechend abrufen und bearbeiten. In den Präsenz-Veranstaltungen stehen auf der Basis der Lehrinhalte verschiedene soziale Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden im Zentrum. Damit die Kombination möglichst optimal vonstattengeht, müssen die On- und Offline-Phasen in eine entsprechende didaktische Passung und lernszenarische Abfolge gebracht werden. Was hier allgemein umschrieben ist, führt in der Praxis und Theorie von wissenschaftlicher Systematisierung und Kategorienbildung, von praktikablen Konzepten, Modellen und Anwendungen [1] zu Fragen und Problemen, die im Folgenden skizziert werden.

Zunächst kann mit Sauter et al. bei Blended Learning von hybriden Lehr-Lernkonzepten gesprochen werden, welche „die heute verfügbaren Möglichkeiten der Vernetzung über Internet oder Intranet in Verbindung mit ‚klassischen‘ Lernmethoden und -medien in einem sinnvollen Lernarrangement optimal“ (Sauter et al. 2004, S. 68) nutzen. Mit der Nutzung des Internet ist weit mehr als die bloße Recherche, die überwiegend Datenbanken oder Suchmaschinen übertragen wird, zu verstehen, sondern sie impliziert einen eigenständigen Lehrgegenstand. Hybride Lehr-Lernkonzepte ermöglichen „Lernen, Kommunizieren, Informieren und Wissensmanagement, losgelöst von Ort und Zeit in Kombination mit Erfahrungsaustausch, Rollenspiel und persönlichen Begegnungen im klassischen Präsenztraining“ (ebd.). In dieser Allgemeinheit handelt sich bei BL lediglich um ein „konsensfähiges Etikett für Lehr-Lernkonzepte“ (Reinmann 2005, S. 103), das durch eine Vielfalt von Deutungs- und Interpretationsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Vielfältige Varianten wie auch Kombinationen von Medien und Methoden basieren bestenfalls auf konzeptionellen Überlegungen und praktikablen Modellen, denen der zentrierte Blick auf den Lernenden gemeinsam ist (vgl. ).

Jenseits dieses Blicks auf den Lernenden wird unter dem „konsensfähigen Etikett“ (Reinmann) und dem Variantenreichtum der anwendungsbezogenen Modelle ein Defizit an trennscharfer Definition, Granularität der Kategorien und wissenschaftlicher Theoriebildung deutlich (vgl. ; Würffel 2014; Graham et al. 2013; Kerres 2012).

Nach Kerres ist das „Label Blended Learning (...) in der Praxis oftmals irreführend; es suggeriert ein didaktisches Konzept, ohne zu beschreiben, wie die einzelnen Elemente didaktisch aufbereitet sind und zusammenwirken“ (Kerres 2012, S. 8). Graham et al. kritisieren insbesondere die unbegründete Auswahl der Lehr-Lern-Formen und die Fokussierung auf technische Oberflächenmerkmale [2].

Mandl & Kopp vermissen belastbare Erkenntnisse über die Kombination von On- und Offline-Phasen (Abfolge, Länge, Umfang und Übergänge) sowie die Auswahl und Verbindung verschiedener Medien in der Online-Phase (vgl. ). Des Weiteren gibt es „bislang wenig Aussagen darüber, welche Inhalte und didaktische Methoden sich speziell für Präsenzphasen und welche sich für E-Learning-Phasen eignen“ (ebd. S. 17).

Nun hat es im Rahmen von Forschungsprojekten und darüber hinaus nicht an Versuchen gefehlt, die BL-Konzepte, -Modelle und -Anwendungen nach theoretisch begründbaren und praktisch nutzbaren Kategorien zu systematisieren.





  1. Aus den genannten Gründen erfreuen sich BL-Arrangements seit 20 Jahren großer Beliebtheit (vgl. MBB-Institut 2014) und sind weit verbreitet. Forschungs- und Entwicklungsprojekte in den unterschiedlichsten Lehr-Lern-Konstellationen und Zielgruppen beschäftigten sich nicht nur mit der praktischen Umsetzung, sondern auch mit der Entwicklung und Diskussion theoretischer Grundlagen. (vgl. u.a. Arnold et al. 2011; Erpenbeck et al. 2015; Florian 2008; Kraft 2003; Mandl et al. 2004; Petko et al. 2009; Reimer 2004; Reinmann 2005; Reinmann et al. 2009; ; Witt 2003; Würffel 2014).
  2. “First, many of the models and theories have not articulated clearly the core attributes, relationships, and rationale behind their selection and organization [...] Second, the heavy focus in existing models on physical or surface-level characteristics rather than pedagogical or psychological characteristics is impeding progress.” (Graham et al. 2013, S. 28 - 29)